“Hier ist nichts anderes denn Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels” - dieses Wort aus dem Alten Testament (1.Mose 28,17) steht über dem Haupteingang der altehrwürdigen St. Wigberti- Kirche zu Riestedt. Und es stimmt! Betritt man die Kirche, so empfängt einen ein hohes Holztonnengewölbe mit bunter Barockbemalung von vorn bis hinten, ein Himmel mit Wolken, die auseinanderreißen und eine Fülle von Engelsgestalten und Engelsgesichtern freigeben, mit vier Hauptbildern in der Mittelachse, die die entscheidenden Heilstatsachen darstellen und uns zeigen, wie man in den Himmel kommen kann (Mose mit den Geboten, das Opfer Christi, der Auferstandene mit der Siegesfahne, die Sonne über dem Altar) und mit erklärenden Bibelworten auf bewegten Schriftbändern. Mit dieser gemalten Evangeliums -Verkündigung an der Decke korrespondiert der Barock-Altar mit seinen lebendigen Figuren: Moses und Johannes der Täufer rahmen ein Reliefbild in der Mitte ein, das Jesus im Garten Gethsemane zeigt, wie er sich in den Willen Gottes hineinbetet. Sein Gehorsam gegenüber Gott, der Gehorsam, mit dem er sich für uns Menschen hingibt - das ist der Schaltpunkt, der “Schlüssel ” zur Pforte des Himmels. Dieses alles haben wir in einem Bauwerk, in dem Jahrhunderte ihre Geschichte geschrieben und die Abfolge der Baustile ihre Zeichen hinterlassen haben. Da sehen wir zugemauerte romanische Fenster in den Bruchsteinwänden des Kirchenschiffes, romanisches Mauerwerk im Turmbereich, und besonders auffallend ist eine rundbogige Türöffnung, von der man nicht weiß, wo sie hinführt. Die Turm - Kapelle mit ihrem nach Osten ausgerichteten Triumph-Bogen weist Übergangselemente von der Romanik zur Gotik auf, während der Chorraum und der obere Turmbereich mit seinen Maßwerk-Fenstern spätgotische Stilelemente erkennen lassen. Der Innenraum der Kirche ist von der barocken Ausmalung und Ausgestaltung geprägt, aber wir haben auch einen Taufstein aus der Renaissance-Zeit und einen weiteren Taufstein aus Marmor in reinem Klassizismus, 2 Kronleuchter aus den Gründerjahren und…und…und. Es ist ein ganz großer Reichtum, der sich uns in der Riestedter St. Wigberti-Kirche darbietet - ein Reichtum an Geschichte, Baugeschichte und Stilrichtungen und vor allem an biblischer Verkündigung, die unmittelbar die Herzen anspricht. Viele Generationen haben an diesem Gotteshaus gebaut, repariert, geändert und immer wieder ihr Verständnis der Frohen Botschaft eingebracht. Die Riestedter Kirche liegt wie der ganze Ort an der alten Handelsstraße von Erfurt nach Magdeburg, die schon in ältesten Zeiten Teil einer wichtigen Nord-Süd-Verbindung war. Das Gotteshaus ist dem heiligen Wigbert geweiht, einem Zeitgenossen und Mitmissionar des Bonifatius, dem Apostel der Deutschen. Beide stammen aus Südwest-England und beide gehören in die große Schar der angelsächsischen Missionare, die im 8. Jahrhundert Verwandtschaft, Heimat und Besitz verließen, um “für Christus zu wandern” (peregrinatio propter Christum). Sie waren von dem brennenden Verlangen erfüllt, ihren heidnischen Stammesverwandten auf dem Festland die gute Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus zu bringen und das in wahrhaft europäischen Dimensionen! Bonifatius, der im Jahre 719 vom Papst in Rom für die Missionstätigkeit im Hessen/Thüringer Raum besonders beauftragt worden war, hatte um das Jahr 730 einen Hilferuf um Mitarbeiter in sein Kloster nach England gesandt. Wigbert gehörte zu denen, die den Weg und die Entfernung nicht scheuten und nach Mitteldeutschland herüberkamen. Bonifatius setzte Wigbert zum Schulvorsteher und Abt im Kloster Fritzlar ein,das dann offensichtlich zum Standquartier seiner Missionstätigkeit wurde. Eine Reihe von Wigberti-Kirchen bis in die Nähe von Eisleben lässt vermuten, dass Wigbert Missionsreisen bis in unsere Gegend unternommen haben könnte. Auch die Gründung der Riestedter Kirchengemeinde könnte auf ihn zurückgehen (um 740). Auf jeden Fall wird Riestedt mit seiner Wigberti-Kirche, die wohl zu einem königlichen Reichshof gehörte, in etlichen wichtigen Urkunden des 8.-10. Jahrhunderts (Karl der Große, Otto II) erwähnt, was auf eine besondere Bedeutung schließen lässt. Zuerst wurde nach der Gründung der Kirchengemeinde wohl nur eine schlichte Holzkirche gebaut, bis man um 1150 aus Bruchsteinen eine romanische Kirche errichtete. Da sich nach der Reformationszeit dieses Kirchengebäude als zu klein erwies, baute man ab 1556 um und an. Vor allem wurde ein neuer Chorraum angefügt (Baumeister: Hans Ecke, Riestedt), 1571 erfolgte der obere Teil des Kirchturmes (gotische Maßwerkfenster), 1574 die Kirchhofsmauer. Die Steine zum Bau holte man von dem aufgehobenen Kloster Kaltenborn bei Emseloh und noch heute sind Säulenreste und verzierte Steine an der Riestedter Kirche und in der Kirchhofsmauer zu entdecken. Auch im Kircheninnenraum gab es mancherlei Veränderungen: 1584 wurde eine neue Orgel angeschafft, 1597 ein Sandstein-Taufstein mit der Inschrift: “Lasset die Kindlein zu mir kommen” (Renaissance), 1605 wird die Kirche gemalt. An der Wand hinter dem Altar ist ein sehr fein gearbeiteter Epitaph-Stein von 1570 eingelassen zum Gedenken an Bastian Spiegelberg, einem Geldgeber für die Bauarbeiten, und ein eindrucksvolles Abendmahlsgemälde stammt auch aus jener Zeit (Manierismus, ca.1580). Eine nächste große Umgestaltungsphase vollzog sich wie bei so vielen Kirchen in der Barockzeit. 1673 wurde die Kanzel gestiftet (fast noch Renaissance), 1704 eine neue Orgel gebaut, ab 1717 die Fenster und Türen verändert und erneuert, dabei auch 4 Dachgaupen eingebaut, 1735 die Holztonnendecke gemalt - mit der ganzen Heilsbotschaft von der Liebe Gottes (Maler H. Bergmann), dazu die Emporen mit Bibelsprüchen und Ranken bemalt (Maler Wagner aus Breitungen), 1744 der Barock-Altar aufgestellt (Bildhauer Großmann-Lodersleben). Auch an den Emporen nahm man entscheidende Umbauten vor (1734). Diese barocke Ausgestaltung gibt der St. Wigberti-Kirche noch heute ihr entscheidendes Gepräge, wenn auch manches verändert, weggenommen oder dazugekommen ist. So setzte man 1829/30 beim Bau der jetzigen Orgel dieses Instrument auf die Westseite der Kirche und baute extra eine Empore dafür ein. Vorher stand die Orgel hinter und über dem Altar. Orgelbauer: W. Maurer aus Rettgenstedt. (Mechanische Schleifladen-Orgel). Auch die barocke Deckenmalerei war zwischendurch zugeputzt und wurde erst bei einer Renovierung 1924-27 wieder freigelegt. 1863 wurde ein sehrschöner hell und dunkel gemaserter Marmor-Taufstein aufgestellt, der sich jetzt in der Turm-Kapelle befindet. In den 60-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde wegen Schwammbefall die obere Empore hinter dem Altar weggenommen und wegen Materialknappheit wurden 3 Dachgaupenfenster im Altarraum geschlossen, wodurch die Kirche einen recht düsteren Eindruck machte. Um so dankbarer sind wir, dass wir mit Hilfe von etlichen Fördermittelstellen anlässlich einer dringend notwendigen Dach-Sanierung die 3 Dachgaupen wieder einbauen und öffnen konnten! Nun strahlen der Altar und die gemalte Sonne über ihm und die ganze Deckenmalerei in neuem Glanz, das Licht fällt auch ganz neu auf den auferstandenen Christus, und man wird an einen Ausspruch aus dem Kreis der angelsächsischen Missionare um Wigbert erinnert: “Christus ist die ewige Sonne; er macht das Volk heil von den Sünden und entzündet durch die Glut des Heiligen Geistes ein Feuer auf Erden”. Es ist faszinierend, wie dieser Grundgedanke der angelsächsischen Mission und des Evangeliums überhaupt in der traditionsreichen Riestedter St. Wigberti-Kirche durch die vielen Jahrhunderte hindurch umgesetzt, zum Ausdruck gebracht und bis heute bewahrt worden ist ! Lassen wir diese Kirche der angelsächsischen Mission zu uns reden, lassen wir uns anrühren von der Liebe Gottes und der Hingabe Jesu Christi, damit auch in unserem Leben die Sonne aufgeht ! Und tragen wir unseren Teil bei, um diese Kirche der Nachwelt zu erhalten! Sie birgt außen und innen noch viele Geheimnisse und interessante Einzelheiten (Gebeinhaus, Grabdenkmäler, Uhrwerk, umgesetzte Emporen) und sie lädt ein zur Stille und zum Gebet. Lassen Sie sich einladen (von Anna Maria Hoyer, Riestedter Pastorin i. R.) geb.15.06.1935 tödlich verunfallt am 01. 09. 2011 Die St.Wigberti-Kirche ist im Sommer zu den Gottesdiensten geöffnet - außerdem sind Vereinbarungen möglich.
die Kirche von Süden