Unsere Altvorderen mussten auf Grund hochherzöglicher, später behördlicher Anweisungen, zum Zwecke der Festlegung von Abgaben (Zehnt, Flursteuer usw.) in bestimmten Zeitabschnitten so genannte Zehnt- bzw. Grenzgänge durchführen. Das war in einer Zeit, als es noch keine Messgeräte und Flurkarten gab, mit denen man den genauen Verlauf oder die Lage von Flurstücken oder Grenzen festhalten bzw. nachvollziehen konnte. In dieser Zeit war also das menschliche Erinnerungsvermögen, gestützt von einigen Anhaltspunkten (Grenzsteine etc.), gefragt um solche Aufgaben möglichst genau zu vollziehen. So mussten denn, um das Gedächtnis zu trainieren und wacherhalten alle Einwohner eines Dorfes, vom Kleinkind bis hin zum Opa, an Grenzgängen teilnehmen. Das war teils eine strenge Amtshandlung und teils ein Volksfest. So bewegte sich an solchen Tagen ein bunter Zug mit Schinderassassa und Bumbum durch die Landschaft. Vorn an der Spitze die Reiter, dann die Polizei und die Soldaten, danach die Honoratioren des Ortes mit den Gästen und zum Schluss das bunte Dorfvolk mit Kind und Kegel. An besonders markanten Grenzpunkten wurde Halt gemacht und wer von den Jugendlichen nicht aufgepasst hatte, bekam an dieser Stelle eine Ohrfeige, damit er sich den Grenzverlauf gut merke. Abends gab es dann in der Schenke Essen und Freibier, um sich für den nächsten Tag und den Weitergang und Abschluss des Grenzganges zu stärken. über all das und was sich sonst noch bei den Grenzumzügen ereignete, wissen wir recht gut bescheid, weil uns alte, schriftliche Aufzeichnungen von Grenzgängen aus den Jahren 1678, 1716 und 1769 erhalten blieben Der Riestedter Heimat- und Geschichtsverein hat nun diese überlieferungen zum Anlass genommen, um so einen alten Grenzgang, zumindest ein Stückchen davon, einmal selbst nachzugehen. Gemäß der Volksweisheit – Probieren geht über Studieren – marschierten also 23 Riestedter Bürger am 12.10.2003 auf den Spuren ihrer Altvorderen. Der Vorsitzende des Riestedter Heimat- und Geschichtsvereins, Herr G. Vogler, begrüßte alle Teilnehmer und erinnerte an die historische Bedeutung der Grenzgänge und daran, dass dies nach derzeitigen Erkenntnissen zum ersten Mal, fast auf den Tag genau, vor 325 Jahren geschah. Die Marschrichtung lautete: Richtung Gonna den “Ravensweg” aufwärts…… ….erster Halt, auf der Höhe des “Kieskopfes”. Hier gibt der stellvertretende Vorsitzende, Herr Dr. K. Vinzens, anhand von Flurkarten Erläuterungen zum Grenzverlauf und zu den geschichtlichen Hintergründen der Grenzgänge. Nun dürfte sich aber niemand mehr verlaufen auf den Weg zur nächsten Flurbezeichnung, den “Weinbergen”…… ….Weinberge haben es so an sich, das sie leicht bergan gehen, aber alle schafften es. Hier wurde in früheren Zeiten Wein angebaut, womit höchstwahrscheinlich auch das damalige, nahe Riestedt gelegene Kloster “Kaltenborn” versorgt wurde. Heute wächst hier leider kein Wein mehr…. ….der höchste Punkt am “Gonna´schen Berg” ist erreicht, die Flurexperten sind sich trotz Karte anscheinend nicht ganz einig über den genauen Grenzverlauf, aber Ohrfeigen wurden deshalb nicht ausgeteilt. Spätestens hier beginnt die Hochachtung über die Gedächtnisleistungen unserer Vorfahren…. ….Exakt der Grenzlinie entlang geht es weiter im Gänsemarsch in Richtung “Windmühle”. Bis hierher haben früher die umliegenden Orte ihr Getreide zum Mahlen bringen müssen. Das nächste Ziel trägt die Flurbezeichnung “Das Drehlichen” und hier erwartete uns eine stärkendem überraschung …. ….der Marketenderwagen war vorgefahren, mit belegten Broten (hausgeschlachteter Wurst!!!), Kaffee, Tee, Obst etc. Ein großes Dankeschön an die Initiatoren. Alle waren sich einig - im nächsten Jahr führen wir wieder einen Grenzgang durch -: nicht zuletzt auch deshalb, weil schon der herrliche Anblick auf unsere nähere Heimat für die kleinen Strapazen entschädigte… Vom Heimat- und Geschichtsverein Riestedt ist über die historischen Grenzgänge unter Einbeziehung von Flurkarten und alten Flurnamen eine kleine Broschüre erarbeitet worden, die käuflich zu erwerben ist.

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